Sie sind hier

Ein Spielplatz ist kein Ort für Soldaten

AIDA Flüchtlingslager in Bethlehem, nachmittags gegen vier Uhr. Drei junge israelische Soldaten zielen mit ihren vermutlich mit Gummigeschoss geladenen Waffen auf palästinensische Jugendliche, die sich am Eingang des Lagers versammelt haben. Ein Fotograf macht Fotos.
 
ein Gastbeitrag von Shirin Amrad
 
Der israelisch-palästinensische Konflikt interessiert. Die Medien berichten fast täglich darüber. Mir war aufgrund vieler Aufenthalte in Israel vor allem die israelische Sicht des Konflikts bekannt. Deshalb habe ich mich entschieden, mir mit einem dreimonatigen Einsatz als Menschenrechtsbeobachterin für EAPPI in der Westbank selber einen Eindruck der anderen Seite zu verschaffen (weitere Infos auf meiner Website).
 
Wenn Steine geworfen werden und Tränengas oder Gummigeschosse dazukommen, ziehen wir von EAPPI uns zurück. An jenem Tag im AIDA-Lager hofften wir aber noch auf eine Beruhigung der Lage. Wir traten aus der Schusslinie und filmten und fotografierten aus einer sichereren Ecke.
 
Im Flüchtlingslager AIDA in Bethlehem leben ca. 5'000 Menschen auf engstem Raum. Das Lager besteht seit 1950 und die ersten Flüchtlinge kamen vor allem aus Hebron und Jerusalem. Wasserknappheit und mangelnde Infrastruktur sind nur ein Teil der Probleme, mit welchen die Einwohner zu kämpfen haben. Das Lager ist auf zwei Seiten von der israelischen Trennmauer und mehreren Wachtürmen umgeben. Wenn es zu Zusammenstössen zwischen dem israelischen Militär und palästinensischen Jugendlichen kam, sei auch schon mal aus den Wachtürmen auf Jugendliche geschossen worden, berichteten uns Augenzeugen. 
 
An jenem Tag bewegen sich zwei Soldaten und eine Soldatin auf den Lagereingang zu, wo auch das Gemeinschaftszentrum Lajee steht, welches diverse soziale, bildende und kulturelle Angebote für Kinder und Jugendliche bereitstellt, unter anderem auch einen eben erst eröffneten Spielplatz hinter dem Gebäude. Wir filmen und fotografieren. Die Soldaten tragen Schutzhelme und Waffen und bewegen sich vorsichtig zwischen den herumstehenden unbewaffneten Mitarbeitern des Zentrums und unserem Team hindurch. Sobald die drei vom Eingang des Lagers aus sichtbar sind, werden die dort herumstehenden Jugendlichen unruhig.
 
Wir schauen den Soldaten zu, die sich ohne für uns erkenntlichen Grund zum Eingang des Spielplatzes hinter dem Haus bewegen. Ein Mitarbeiter des Zentrums ruft auf Englisch: „Das ist ein Spielplatz. Dort sind Kinder. Ein Spielplatz ist kein Ort für Soldaten.“ Die Soldaten zucken zusammen und wechseln die Richtung. Wir filmen und fotografieren. Dasselbe tun Mitarbeiter des Lajee-Zentrums.
 
Vom nahen Wachturm nähern sich nun etwa zehn zusätzliche Soldaten. Wir werden jetzt ebenfalls auf Kamera festgehalten - vom israelischen Militär. Drei Soldaten gehen in die Knie und richten ihre Waffen auf die etwa 100 Meter weit entfernten Jugendlichen. Ein palästinensischer Mann ruft den Jugendlichen auf Arabisch etwas zu. Wir filmen und fotografieren.
 
Dann löst sich die Gruppe palästinensischer Jugendlicher auf und die Soldaten kehren fast gleichzeitig zu ihrem Wachturm zurück. Ein Fotograf des Lajee-Zentrums, der selber vor einigen Monaten während seiner Arbeit angeschossen wurde, meint, unsere Gegenwart hätte wohl dazu beigetragen, dass die Situation nicht in Gewalt eskaliert sei. Wirklich wissen tun wir es nicht und in den nächsten Tagen hören wir von unserer Wohnung aus regelmässig Knallbomben (Geschosse, die einen lauten Knall verursachen), die vom israelischen Militär im Lager abgefeuert werden. 
 
------------------------------
 
Ich wurde von HEKS und Peace Watch Switzerland als Menschenrechtsbeobachterin nach Palästina und Israel gesendet, wo ich am ökumenischen Begleitprogramm (EAPPI) des Weltkirchenrates teilnehme. Die in diesem Artikel vertretenen Meinungen sind persönlich und decken sich nicht zwingend mit denjenigen der Sendeorganisationen. Falls Sie Teile daraus verwenden oder den Text weitersenden möchten, kontaktieren Sie bitte zuerst Peace Watch Switzerland unter palestine@peacewatch.ch.
 
Weitere Informationen zum Begleitprogramm in Palästina/Israel finden Sie unter www.eappi.org und www.peacewatch.ch.
 
Unterstützen Sie die Arbeit unseres Begleitprogrammes mit einer Spende auf PC 87-356427-6, Peacewatch Zürich. Vielen Dank!